Die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern und Geflüchteten soll bald ein erfahrener Versanddienstleister übernehmen.
Über diese rasanten Fließbänder werden in Zukunft nicht nur Pakete flitzen Foto: reuters
Joachim Stamp hat einen Job, um den ihn wohl niemand beneidet. Von sämtlichen AfD-Politikern, dem Aiwanger Hubsi und weiten Teilen der Konservativen einmal abgesehen. Der Liberale ist Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Migrationsabkommen und damit so etwas wie Deutschlands oberster Abschieber. Kanzler Olaf Scholz lobte bereits, der FDP-Mann habe sich „beherzt“ an die Arbeit gemacht. Nun, nach etwas mehr als einem halben Jahr, wird deutlich: Für Stamp ist die Rücksendung von Menschen offenbar wirklich eine Herzensangelegenheit.
Doch der Rückführer tritt auf der Stelle, er wird die Migranten einfach nicht los. Die Debatte um die Ausweitung sicherer Herkunftsländer „verläuft im Subsahara-Sand“, klagt Stamp. Auch die Migrationsabkommen bringen kaum nennenswerte Erfolge. „Wir hatten dieses Jahr gerade mal ein paar tausend Abschiebungen aus Deutschland in alle asiatischen und afrikanischen Länder zusammen“, bilanziert er ernüchtert.
Großzügig bei Pushbacks
Die bisherigen Anreize millionenschwerer Finanzhilfen für rücknahmebereite Staaten führen zu nichts, auch die Abkommen allein sind kein „ultimativer Gamechanger“, bekennt Stamp. Die meisten Partnerländer zeigen sich unkooperativ oder entwickeln wenig Eigeninitiative. „Wir verschließen doch längst schon die Augen bei Aussetzungen von Geflüchteten in der Wüste. Im Mittelmeer verhalten wir uns großzügig bei Pushbacks. Die deutsche Bundespolizei bildet saudi-arabische Grenzschützer nahe dem Jemen aus, damit sie auf äthiopische Geflüchtete schießen lernen. Was sollen wir denn noch tun?“
Zum Glück glaubt der Liberale Stamp an den Markt. Was die Staaten nicht leisten, soll nun die Wirtschaft übernehmen, verspricht der Politiker und hat dazu eine „revolutionäre Kooperation“ mit dem „größten globalen Supplier“ im Logistikbereich auf den Weg gebracht. Künftig wird der Onlineriese Amazon auch menschliche Retouren bearbeiten.
Das neue Dienstleistungsmodell „Amazon Go Home“ garantiert die fast kostenfreie Rücksendung unverlangt eingegangener Personen in nahezu jedes Herkunftsland. Dafür arbeitet der Konzern eng mit anderen Unternehmen der Logistik, des Transports und des Grenzschutzes zusammen, um optimale Quoten auch in entlegenen oder unsicheren Regionen garantieren zu können.
Intuitiv bedienbar
„Wir denken nicht in Landesgrenzen, sondern in Entfernungen, Erreichbarkeit und Anbindung. Das bedeutet, wir können wirklich von überall nach überall liefern“, erklärt die Unternehmenssprecherin Alegra Kindel enthusiastisch. Auch nach Nordafrika, in die Sahelzone oder gar nach Afghanistan?
„Safe“, versichert Kindel, gegebenenfalls nutze man die eigene Frachtflugzeugflotte. Geliefert wird an Abholstationen, die „den jeweiligen „Landesgegebenheiten“ entsprächen – „im Zweifelsfall ein Polizeirevier, das gibt’s nun wirklich überall“.
Das Onlineportal „Push on demand“, das in den nächsten Tagen beim Bundesinnenministerium installiert wird, funktioniert „intuitiv“ und ermöglicht „unbürokratische“ Rücksendungen, wie ein Videotutorial stolz verkündet.
„Wir halten uns nicht lange mit Fluchtursachenforschung auf“, erklärt Kindel die innovative Strategie des Konzerns. „Oft geht es um falsche Vorstellungen vom Zielland, es hat nicht die richtige Größe oder Beschaffenheit, es gefällt dem Geflüchteten plötzlich doch nicht mehr, oder er hatte von vornherein mehrere Zielalternativen im Kopf. In vielen Fällen handelt es sich ohnehin um eine Impulsflucht, der Geflüchtete agierte nur aus einer spontanen und momentanen Regung heraus. Aber da sind wir großzügig und erkennen auch das als Rückführungsgrund an.“
Standard und Express
Unterschieden wird bloß in Standard- und Expressrücksendung, etwa bei straffällig gewordenen Personen, eine aufwändige und kostenintensive Abschiebehaft entfällt aber in jedem Fall. „Wir garantieren die Same-Day-Rücksendung, ausgenommen sind davon nur regionale und bundesweite Feiertage“, so Kindel.
Bei der Lokalisierung von Rücksendungspflichtigen greift Amazon auf existierende Geschäftsfelder zurück: Das Programm „Rekognition“ wurde bereits an die Sicherheitsbehörden verkauft und ermöglicht Zugriff auf polizeiinterne Kameras wie etwa Bodycams sowie die individuelle Erstellung von Bewegungsprofilen.
Überdies sollen die bestehenden Ankerzentren für Asylsuchende mit den Amazon-Logistikzentren „verschmelzen“. Die dort installierten Cloud Cams, die ursprünglich für die „Befürsorgung“ der Mitarbeitenden gedacht waren, garantieren eine lückenlose Überwachung.
All das bedeute einen „großartigen Synergieeffekt“ für den Konzern und die Bundesregierung, sagt Sprecherin Kindel. Auch die Herkunftsländer haben Vorteile: „Mit jeder Rücknahme erhält ein Staat ein Smile auf seinem Go-home-Konto und damit attraktive Anreize. Für nur 20 Smiles bekommt ein unbescholtener Bürger die Chance auf erleichterten Visa-Zugang, also die Einreise, nicht die Kreditkarte natürlich, obwohl das ja passen würde: Die Freiheit nehm ich mir. Wenn Sie den kleinen Scherz erlauben.“
Anflüge von Humor
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigt sich begeistert von der Initiative des Sonderbeauftragten und der Zusammenarbeit mit dem Onlineversandhandel. „Wir haben heute über 300.000 Ausreisepflichtige in Deutschland. Um es ein bisschen salopp zu formulieren: Die sind jetzt geliefert“, lacht die Sozialdemokratin.
Der Kanzler lobt die Kooperation ebenfalls: „Genau so stelle ich mir den Deutschlandpakt vor, in dem Fall ist es ja quasi ein Deutschlandpaket. Da kann ich nur sagen: Die Ampel hat geliefert.“ Und selbst Oppositionsführer Friedrich Merz zeigt Anflüge von Humor: „Da hat der Kollege Joachim Stamp einen echten Coup gelandet, das hätten wir nicht besser machen können“, meint der CDU-Chef und summt den Elvis-Hit „Return to sender“.
Es scheint, als habe der Liberale dank Amazon nun einen Job, um den ihn fast alle politischen Kreise beneiden.
Die Wahrheit auf taz.de
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Author: Renee Mckenzie
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